Impfpflicht kann unerwünschte Folgen haben
In Deutschland prüft aktuell die Große Koalition die Einführung einer landesweiten Impfpflicht. Auslöser war der Anstieg an Maserninfektionen. Auf SPIEGEL ONLINE erschien der lesenswerte Artikel „Wo die Impfpflicht wirkt – und wie sie wirkt“1 über die Vor- und Nachteile eines solchen Zwangs. Hier eine kurze Zusammenfassung und Kommentierung.
Zusammenfassung:
- Impfpflicht kann zu steigenden Impfquoten führen
In 12 von 28 Mitgliedsstaaten der EU gilt bereits eine Impfpflicht. Zwischen einer und 14 Immunisierungen müssen die Bürger der jeweiligen Länder vornehmen lassen. Ungarn liefert ein Beispiel für eine funktionierende Impfpflicht. 2016 waren dort 99 % der Kinder gegen Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten, Polio, Meningokokken und Haemophilus influenzae, Typ b geimpft.
- Eine Impfpflicht kann aber auch das Gegenteil bewirken
Ein Zwang zur Impfung kann zu Misstrauen gegenüber Impfungen im Allgemeinen führen. Laut einer EU-weiten Studie schätzten beispielsweise nur 66 % der Befragten in Bulgarien Impfstoffe als sicher ein. Dort gibt es elf Pflichtimpfungen. Setzen sich Eltern über die geltende Impfpflicht hinweg, treffen die Sanktionen ihre Kinder. Sie dürfen dann nicht in Kitas oder müssen dem Schulunterricht fernbleiben.
Weitere unerwünschte Effekte, die eine Impfpflicht mit sich bringt: Unverpflichtende Impfungen werden als nicht wichtig wahrgenommen.
Vertrauen durch Information:
Wir sind der Meinung: wer gut informiert ist, kann sich auch mit einem guten Gefühl für eine Impfung entscheiden. Es gibt überzeugende Gründe, sich und seine Kinder impfen zu lassen. Einige davon listen wir am Beispiel der Polio-Impfung auf:
Herdenimmunität: Hat sich der Großteil der Bevölkerung gegen eine bestimmte Krankheit immunisieren lassen, sind auch die Menschen geschützt, die sich nicht impfen lassen können. Beispielsweise können Neugeborene noch nicht immunisiert werden oder Menschen mit bestimmten Erkrankungen.
Schutzwirkung am Beispiel Polio: Geimpfte Menschen gelten bei einer vollständigen Grundimmunisierung und mindestens einer Auffrischung als vollständig geschützt.
Polio-Erkrankung: Die meisten der Polio-Infizierten merken nicht, dass sie an Polio erkrankt sind. Die Symptome werden häufig als grippaler Infekt fehlgedeutet. Allerdings kann es bei einigen Erkrankten zu bleibenden Komplikationen kommen: Lähmungen, Muskelschwund, vermindertes Knochenwachstum oder Gelenkstörungen. Aus diesem Grund ist Polio auch als Kinderlähmung bekannt.
Deutschland gilt heute als polio-frei: Im Jahr 1961 wurden in Deutschland 4 700 Polio-Erkrankungen in Deutschland gemeldet. Mit der zeitgleichen Einführung der Impfung sank die Zahl der Erkrankungen 1965 bereits auf weniger als 50. Seit 1990 gilt Deutschland als poliofrei. Da die Krankheit jedoch immer noch aus anderen Ländern eingeschleppt werden kann, ist die Impfung heute noch wichtig.2
Sicherheit: Der Impfstoff gilt als sehr gut verträglich. Der Lebendimpfstoff, der früher in sehr seltenen Fällen eine Polio-Infektion verursachte, wird heute in Deutschland nicht mehr verwendet.3
Selbst informieren:
- Robert Koch Institut: Ständige Impfkommission
- Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung
www.info-impfen.de - Bundesministerium für Gesundheit
Schutzimpfungen
Exkurs: HPV-Impfung
Eine noch relativ junge Impfung ist die 2007 in Deutschland eingeführte Impfung gegen Humane Papillomviren (HPV). Sie schützt vor bestimmten Krebserkrankungen, insbesondere vor Gebärmutterhalskrebs. Eine aktuelle schottische Studie bestätigte nun die Wirksamkeit der HPV-Impfung, veröffentlicht in einem Artikel4 im British Medical Journal.
Die HPV-Impfung wurde in Schottland 2008 eingeführt. Sie zielte auf die HPV-Typen 16 und 18 ab, die für 70% der Gebärmutterhalskrebsfälle weltweit verantwortlich sind.
Schutzwirkung: Die routinemäßige Impfung von Mädchen im Alter von 12 bis 13 Jahren führte zu einer deutlichen Verringerung von durch HPV assoziierten Erkrankungen am Gebärmutterhals. Außerdem erkannten die Forscher, dass ein jüngeres Alter bei der Impfung mit einer zunehmenden Wirksamkeit der Impfung verbunden ist. In der Regel wird HPV beim Geschlechtsverkehr übertragen. Aus diesem Grund empfiehlt es sich, vor dem ersten Sexualkontakt zu impfen.
Herdenimmunität: Die schottischen Forscher stellten außerdem einen Rückgang von vermeintlich bösartigen Gewebeveränderungen am Gebärmutterhals bei ungeimpften Frauen fest. Sie deuteten das als einen Hinweis dafür, dass die routinemäßige Impfung von Mädchen in Schottland bereits zu einem Herdenschutz geführt hat.
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1 Spiegel Online: Wo die Impfpflicht gilt – und wie sie wirkt (03.04.2019)
http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/impfpflicht-in-diesen-eu-laendern-funktioniert-sie-a-1259575.html
2,3 Robert Koch Institut:
https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Impfen/ImpfungenAZ/Polio/Polio.html
4 Prevalence of cervical disease at age 20 after immunisation with bivalent HPV vaccine at age 12-13 in Scotland: retrospective population study (2019)
Tim Palmer, Lynn Wallace, Kevin G. Pollok, Kate Cuschieri, Chris Robertson, Kim Kavanagh, Margaret Cruickshank